Autobahn A9 zwischen Leipzig und Berlin –
Sonntag, 03.10.2010
Toms rot lackierter Aston Martin V8 Vantage flitzt in rasantem Tempo auf der Strecke zwischen Leipziger Herzzentrum und Berliner Cordialité. Die A9 bietet ausreichend Spielraum für die Testung männlicher Fahrstile. Um katastrophale Ausmaße zu verhindern, wird er von seinem geistigen Ziehvater, dem Berliner Polizeipräsidenten, begleitet, der um Toms Schwächen bestens Bescheid weiß. Gleichzeitig gibt Falco im Radio sein Bestes. Wenngleich sich Tom nicht als Egoist bezeichnen würde, schätzt und genießt er es, wenn sich die ganze Welt auf ihn einstellt und alles daran setzt, ihm zu gehorchen und zu gefallen. Mühelos singt er den Text mit. Die Tachometeranzeige schwankt zwischen 200 und 240, mediane Durchschnittsgeschwindigkeit beläuft sich auf 230 Kilometer pro Stunde. Mehr ist nicht zu schaffen. Die Vorausfahrenden sind zu lahm. Überfliegen kann er sie nicht.
»Dein exorbitant hoher Verbrauch an Sekretärinnen …«, beginnt Bodo, als sie an einem Laster vorbei düsen, der offensichtlich exotische Früchte transportiert, doch er wird harsch von Tom unterbrochen.
»Fünfzehn, es sind nur fünfzehn gewesen, Bodo«, korrigiert Tom. »Seit wann ist das viel?«
Bodo seufzt. »Du hast vor vier Jahren den Ruf an der Uni angenommen. Rein mathematisch betrachtet haben deine Sekretärinnen eine Laufzeit von durchschnittlich 3,2 Monaten. Selbst der Oberbürgermeister ist amüsiert.«
»Die Personalverwaltung lässt keine Gnade walten. Bis auf weiteres bekomme ich keinen Ersatz«, bestätigt er.
»Hand aufs Herz. Wie viele hast du weggeekelt, und wie viele hast du gevögelt?«
»Flüchtige unglückliche Beziehungen machen ein gemeinsames Arbeiten unmöglich«, antwortet Tom ausweichend. »Der Rest war unfähig.«
»Fifty, fifty?«, rät Bodo.
»Fifty, fifty«, wiederholt Tom mit einem leichten Schätzer in der Stimme.
»Du ruinierst deinen guten Ruf«, jammert Bodo.
»Ich habe niemanden betrogen. Im Unterschied zu anderen Kollegen liebe ich sequentiell und nicht parallel«, lenkt Tom ein.
»Werd‘ endlich erwachsen«, mahnt Bodo.
Der ›Frauenschütze‹ hat im Dezember Geburtstag. »Ich bin seit fast vierundzwanzig Jahren erwachsen«, erwidert Tom trocken. »Abgesehen davon werden Menschen grundsätzlich nicht erwachsen, sondern schlicht und ergreifend älter.«
Bodo schüttelt den Kopf. »Du hast keine Ahnung, was es bedeutet, in einer stabilen Beziehung zu leben.«
»Mit Frau und Familie?«, ergänzt Tom. »Ich arbeite täglich zwölf bis fünfzehn Stunden. Das macht auf Dauer jede Frau unglücklich.«
»Du reparierst täglich ein Dutzend Herzen, und du hast mindestens zwölfmal so viele gebrochen.«
»Mit Ausnahme der Krankenschwestern und MTA’s, die einen großen Bogen um mich machen, der lesbischen sowie der vorgealterten Oberärztin sind alle meine Mitarbeiter männlichen Geschlechts. Es wird nicht wieder vorkommen, Bodo.«
Er verrückt seine Rutherford Earflaps Stetson in beige, die seine spiegelglatte Glatze verdeckt, um zwei Zentimeter nach rechts und zupft am farblich passenden Trenchcoat eine Fussel weg.
Er bezweifelt die Aussage gründlich. »Du bist ein klassischer Wiederholungstäter.«
Würde er nicht im Wagen eines Kardiologen sitzen, würde sich der passionierte Kettenraucher eine Habano anzünden, um den Sünden seines Neffen ein Gegengewicht zu verleihen.
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