Du allein entscheidest, diese Nachricht zu lesen, oder auch nicht. Dennoch schwebt sie nicht unnütz durch den unendlichen Raum. Sie wird dich eines Tages unerwartet treffen – womöglich dann, wenn es bereits zu spät ist.
Du würdest es nie zugeben – du hast mit geheimer Sehnsucht auf ein winziges Signal gewartet, nachdem du mich rücksichtslos in die Eiseskälte geschickt hast. Jetzt, wo der Leuchtturm alle Verbindungen gekappt hat, bist du neugierig zu erfahren, ob ich dein Eis mit Wärme brechen kann. Ob ich dich noch begehre. Ob ich noch Gedanken an dich verliere. Ob ich es jemals ernst gemeint habe. Ob ich dich vermisse. Ob du mich derart verärgert und verflucht hast, dass ich nicht mehr verzeihen könnte.
Du bist der einzige, der die verschlüsselten Nachrichten entziffern kann, der einzige, der gelegentlich etwas damit anfangen kann.
Du bist verschmolzen mit der dunklen Nacht, ein schwarzer Jaguar, der sich nur zeigt, wenn er es will und unsichtbar bleibt, solange es ihm beliebt. Du jagst, ohne mich zu fangen, du folgst meinen Brotkrumen, die du neugierig beschnüffelst, ohne sie zu verzehren. Jederzeit könntest du mich erbeuten, doch du wartest geduldig bis zu dem einen großen Moment, an dem jedes Puzzleteil exakt ins Gemälde passt. Du wirst zielsicher zuschlagen, und ich werde deine Beute sein, das den Fängen deines Netzes nicht entkommt.
Vielleicht wirst du uns durch die Nacht fahren und uns an den Platz führen, den du hierfür gewissenhaft vorbereitet hast. Erinnerungen an ein anderes Leben. Was nichts am Jäger und dessen Instinkt ändert.
Er könnte seinem Vorbilde gleich elegant und majestätisch auftreten, die jungen unschuldigen Seelen mit höchster Präzision verführen und entführen. Seine wahre Stärke liegt im Geist, dessen Augen wie Saphire funkeln.
Und wenn du mich frisst – meine Gedanken wirst du weder vertragen noch verdauen können, weder zerfleischen noch vernichten können. Du wirst nicht einmal mein leises Flüstern im Wind ertragen. Du wirst es wegschubsen wollen wie lästige Mücken in Namibias Abenddämmerung.
Die Erinnerung an dich ist eine Bürde, der ich nicht gewachsen bin. Die Kräfte, die du in mir freigesetzt hast, waren nicht von dieser Welt. Sie haben mich überrascht und berauscht. Sie haben mich empfindlich und unendlich traurig gemacht. Ich bin verletzt – die Wunden verheilen nicht. Wenn ein Herz blutet, schreit die Seele. In der Hölle werden irdische Grenzpegel mit Leichtigkeit überschritten.
Für dich bin ich eine unliebsame Datei, die sich wie ein Virus durch den Computer frisst und unangenehme Fragen, Lücken und Rätsel hinterlässt, vielleicht auch Löcher, die du in diesem Leben nicht stopfen kannst.
Vielleicht würde es uns besser gehen, wenn man die Erinnerungen löschte.
Sie haben mir versichert, niemals davon Gebrauch zu machen. Die göttliche iCloud ist unantastbar wie es die Menschenwürde ist. Dass sie mir diesmal mehr Datenroaming zustanden als dir, ist Teil eines Plans, den ich nicht gänzlich verstehe. Oder ich täusche mich, und du erinnerst dich gleichwohl, ohne es mich wissen zu lassen.
Wenn du jenes Ereignis nicht längst schon selbst geträumt oder dich gar die Realität eingeholt hat – dir standen zwei Jahre zur Verfügung, es zu ergründen – erweise ich mich großzügig, jene Datei mit dir zu teilen. Der Freigabe habe ich zugestimmt. Wer höflich bittet, dem werden die Türen geöffnet.
Meine Phantasie sieht dich die Nachricht lesen. Oder aber sie liest sie dir vor, um dich zu testen und zu beobachten, wie du reagierst: dich grollend erhebst und wutschnaubend mit der Faust auf den Tisch einschlägst oder in schallendes Gelächter ausbrichst oder ratlos und verunsichert zurücklässt oder heimlich tausend Tränen in das Kissen weinst.
Ich kann auch sibirisches Eis zum Kochen bringen, wenn es der Sache dienlich ist. Wenn ich wüsste, du liebst mich so wie ich es tu.